Hannes teilte mir mit, er sei gut angekommen. Aus Angst etwas zu verpassen, weil er nicht aufwacht, wenn er angerufen wird, stellte er sich stündlich einen Wecker. Ich konnte gar nicht schlafen, da ich regelmäßig leichte Wehen hatte. Für 1-2 Stunden konnte ich doch die Augen schließen. Kurz davor hatte ich bereits gemerkt, dass nachts nicht mehr so viel passieren wird und schrieb Hannes,dass er den nächsten Wecker auf 5 Uhr oder nicht jede Stunde sondern alle zwei Stunden stellen kann. Zumal es die nächste Einleitung erst am nächsten Tag gab. Zwischen 4.30 Uhr und 5.00 Uhr wägte ich ab, ob ich Hannes anrufen soll oder nicht, da die Schmerzen stärker wurden. Um 5.00 Uhr rief ich ihn an. Vorher fragte ich bei der Schwester nach Schmerzmittel. Während ich mit Hannes telefonierte, platzte meine Fruchtblase. Er wurde gefühlt kurz panisch, wir legten auf und ich rief die Schwester. Ich wurde zur Toilette begleitet, eine andere wechselte das Laken. Bevor ich Schmerzmittel erhielt, wurde der Muttermund überprüft. Dieser war noch geschlossen. Ich schrieb Hannes, dass er sich in Ruhe fertig machen kann. Gegen 9 Uhr erhielt ich wieder eine Einleitung. Die bewirkte jedoch einige Zeit nichts. Gegen Mittag kam Schwiegermutter. Hannes und sie gingen zum Corona-Testzentrum, damit sie mit aufs Zimmer kommen konnte. Gegen 14.00 Uhr waren sie oben bei mir. Schwiegervater war nun auch auf dem Weg und Hannes wollte mit ihm ebenfalls zum Testzentrum und anschließend kurz etwas einkaufen. Gegen 15.00 Uhr erhielt ich erneut Gel als Einleitung. Eine Stunde später wurden die Wehen stärker. Ich habe bei der Schwester Scherzmittel „bestellt“. Schon bald musste Schwiegermutter meine Hand halten, weil die Wehen regelmäßig und stark kamen. Ich bekam ein zweites Schmerzmittel. Als auch das nicht wirkte, rief ich erneut nach der Schwester. Hannes war noch immer nicht bei mir (Schwiegervater war nicht gut zu Fuß unterwegs). Zwischen 17.00 Uhr und 17.30 Uhr kam die Hebamme und überprüfte den Muttermund, der nur ca. 2 cm offen war. Sie hielten Rücksprache mit dem Arzt, ob ich direkt eine PDA oder ein weiteres Schmerzmittel via Tropf erhalten sollte. Ich bekam ein weiteres Schmerzmittel. Um 17.38 Uhr sagte bzw. schrieb mir Hannes, dass er am Eingang sei. Ca. 5 Minuten später kam er ins Zimmer und direkt hinter ihm eine Hebamme. Sie kam rein und sagte, dass es jetzt in den Kreissaal ginge. Hannes kam mit. Der Weg dorthin kam mir elendig weit vor. Dort angekommen sagte uns die Oberärztin, dass ich jetzt eine PDA bekomme und mich nicht weiter quälen müsse. Die nächste Wehe kam und diese war anders. Ich sagte, dass ich das Gefühl hätte, pressen zu müssen. Sie sagten mit, dass ich das dann tun sollte beim nächsten Mal. Sie fragten mich, ob ich ins Kreissaalbett wechseln möchte. Ich sagte ihnen, dass ich das nicht wüsste. Also entschieden sie fr mich und halfen mir rüber. Die nächste Wehe kam und ich presste. Hebamme und Ärztin sagten, ich solle die Beine beim Pressen auseinander lassen. Die nächste Wehe. Ich merkte (bzw. fühlte es sich so an) wie das Köpfchen am Ausgang war und gefühlt wieder reinrutschte. mit der nächsten Wehe habe ich alles gegeben, damit der kleine Babyhase rauskommt. Es fühlte sich förmlich an, als wenn sie aus dem Hasenbau gesprungen ist. Da war sie nun, doch es war still. Ich hörte nur Hannes weinen, die Hebammen und Ärztin die sie erst willkommen hießen und unserer Tochter sagten, dass ihre Mama das ganz toll gemacht hat. Sie fragten uns, ob wir sie sehen wollen, doch das wollten wir erst, wenn sie sauber ist. Die beiden tuschelten noch irgendwas und machten den Babyhasen sauber. Ich merkte, wie immer wieder ein Schwall Blut aus mir kam. Die Oberärztin kam rein, fragte, was die beiden machen und sagte, ich müsse sofort in den OP. Der Babyhase hatte sich von allein abgenabelt, was u.a. dazu führte, dass die Plazenta nicht von allein rauskommt. In windeseile haben sie mir ein OP-Hemd angezogen. Dann wurde mir eine Binde zwischen die Beine geklemmt, ich in den Rollstuhl verfrachtet und in den OP geschoben. Dort war unglaublich viel Gewusel. In gefühlt zwei Minuten fragte der Narkosearzt, ob ich schon einmal narkotisiert war und wie ich es vertragen habe, welche Blutgruppe ich habe und wie viel ich wiege. Währenddessen wurde mir geholfen, mich auf den OP-Tisch zu legen. Ich zitterte am ganzen Körper. Elektroden wurden mir angeklebt und eine Atemmaske aufgesetzt. Mir wurde gesagt, ich solle tief einatmen. Ich tat es einige Male und fragte mich schon, wann ich endlich einschlafe und dann war ich weg…
Als ich aufwachte, war immer noch Gewusel um mich herum. Ich wurde auf ein Bett gehoben und in den Kreissaal geschoben, wo ich unsere Tochter geboren habe. Hannes wurde angerufen und kam kurz darauf. Die Hebamme kam rein und sagte, sie müsse meinen Bauch abtasten. Da ich nicht wusste, was mit mir im OP gemacht wurde, fragte ich sie, ob ich aufgeschnitten wurde. Sie verneinte das und erklärte es mir.
Irgendwo zwischen kurz vorm Kreissaal und kurz nach der OP fiel mir der Name „Lilly“ ein. Das Erste, was ich im Grunde zu Hannes sagte war „Wollen wir sie Lilly nennen?“ mir, dass ihm während der OP „Louisa“ einfiel. Ich sagte, dass wir dann einfach einen Doppelnamen daraus machen. Also nannten wir den Babyhasen „Louisa Lilly“. Die Hebamme schrieb sich den Namen auf und machte Fotos von der Kleinen. Ich bekam Abendessen in den Kreissaal und Hannes fütterte mich (Gewürzgurken und Käsebrot). Er war wirklich süß, als er mich gefüttert hat. Wir machten auch noch Selfies. Wir waren von ca. 19.00 Uhr bis 22.30 Uhr im Kreissaal. Anschließend wurde ich aufs Zimmer gebracht. Ich muss sagen, dass die Hebamme, die uns während der Geburt begleitet hat, ein Goldstück war. Sie erklärte uns alles, was wir wissen wollten und nahm sich sehr viel Zeit für uns, obwohl sehr viel los war an diesem Tag. Am nächsten Morgen besuchte uns u.a. der Psychologe und bot uns an Lou zu treffen. Er erklärte uns, dass sie anders aussehen könnte, als wir uns das vorstellen und dass er auf Wunsch als unsere Stütze dabei sein kann.
An diesem Vormittag recherchierte Hannes bereits über die Bestattungsmöglichkeiten. Wir beschlossen, dass eine Bestattung im Ewigforst sehr schön wäre. So hätten wir eine Anlaufstelle bei uns in der Nähe.
Nach dem Mittag holte uns der Psychologe ab und wir gingen gingen zu Lou. Wir kamen in den Raum herein und da lag unser Baby im Bettchen. Eingewickelt in einer blauen Decke mit Mütze auf. Man konnte fast gar nichts von ihr erkennen, weil sie so dick eingepackt war. Ihr Gesicht war sehr rot und platt gedrückt mit weißen Flecken. An ihrer rechten Wange klebte die Nabelschnur. Sie sah u.a. so aus, weil die Fruchtblase sich um ihren Kopf gelegt hatte. Sie war so winzig. Der Psychologe fragte, ob wir sie halten wollen. Ich wollte das, Hannes nicht. Nun saß ich da mit meinem Baby im Arm, doch sie bewegte sich nicht, sondern sah aus, als wenn sie schlief. Die meiste Zeit dachte ich „Du hast mich also immer fleißig getreten.“. Wir ließen einige Familienfotos machen bevor ich sie wieder in das Bett legte. Wir wurden gefragt, ob wir den Rest von ihr sehen möchten. Ich bejahte dies, Hannes drehte sich um, weil er nicht wollte bzw. nicht konnte. Sie war einfach perfekt. Diese wunderschönen kleinen Hände und Füße. Als wir uns darüber unterhielten, wurde Hannes neugierig und hörte heraus, dass der Körper von Lou nicht, wie ihr kleines Gesicht aussah, sondern ganz normal. Also schaute er sie sich doch an.
Auf dem Weg in unser Zimmer wurden wir gefragt, ob wir beim Sternenkindfotografen dabei sein wollen, was wir verneinten. Später überredete eine Hebamme uns doch, sodass wir auch dort hingingen und Fotos mit Louisa gemacht haben. Während des Shootingstar guckte ich die ganze Zeit ihre süße Hand auf der Decke an. Ich war völlig fasziniert von ihrer Hand und auch von ihren hübschen Augenbrauen. Wie schön wäre es gewesen, diesem perfekte Wesen die Welt zeigen zu können?
Am Freitag ging es für uns heimwärts. Wir hatten schon etwas Angst aus dieser Krankenhausblase in die harte Realität zu krachen, doch irgendwann muss das ja passieren. Am Freitag kam die nette Hebamme, die uns bei der Geburt betreute, noch einmal vorbei. Es ließ ihr keine Ruhe zu wissen, ob sie ein bestimmtes Foto in den Umschlag getan hat. Also überprüfte sie das noch einmal und sprach einige Minuten mit uns. Als es dann Heim ging, begegneten wir an den Fahrstühlen einem super glücklichen, schwangeren Paar (sie müsste ungefähr so weit gewesen sein, wie ich), die auch noch kuschelten und sich küssten. Ich konnte meine Tränen nicht zurück halten und Hannes fragte, ob wir den nächsten Fahrstuhl nehmen sollen, was wir dann taten.
Während der Fahrt lief „Forever young“ was mich erneut triggerte. Es ist wirklich faszinierend, welche Tracks auf derartige Situationen passen.
Daheim angekommen, richtete ich Lou eine Vitrine im Wohnzimmer mit den Dingen, die wir vom Krankenhaus erhielten, ein. Auf diese Weise kann sie immer dabei sein. Tja und dann versuchten wir dort weiterzumachen, wo uns das Leben rausgerissen hatte. Wir fuhren in den Baumarkt. Somit hatten wir ein wenig Normalität wieder direkt ins Haus geholt.